Dienstag, 27. April 2010

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Hänge heute nur so rum, klicke ab und an unwirsch in irgendwelchen Anwendungen rum oder spiele ein wenig mit der Bash. Mit prodiktivem Arbeiten hat das alles nichts mehr zu tun. Denke darüber nach, was ich gerne an meinem Job ändern würde, damit der wieder mehr Spaß macht, und komme zu dem Schluss: Mehr Herausforderungen wären gut. Ich glaube, ich habe ein Bore-Out Syndrom. Nicht lustig.

Ich habe am Samstag sein Auto geerbt - wenn man so will. Wir wissen ja alle, dass er nie wieder wird Auto fahren können. Also habe ich jetzt die Möhre übernommen. 26T KM auf dem Tacho, nach neun Jahren - ist ja praktisch ein Neuwagen für geschenkt. Heute noch ummelden.
Wenn man in den Wagen einsteigt, dann ist da noch sein Geruch in den Polstern, eine Ahnung seines Aftershaves hängt dann in der Luft und ich bin wieder 10 Jahre alt und wir fahren gemeinsam jedes Wochenende in den Wald, zusammen mit Bobby, dem Cockerspaniel. Er hatte damals eine Kassette im Auto, mit Sketchen darauf, die er irgendwann aus dem Radio aufgenommen hatte - Erwachsenensketche aus den 60er und 70er Jahren. Ich glaube, ich habe diese Kassette an die 50 Mal gehört. Immer nur am Wochenende.
Der Cocker ist im übrigen schon lange tot. Genaugenommen seit 21 Jahren. Er starb kurz vor der Wende, an Darmkrebs. Lustigerweiser genau der gleiche Krebs, der ihn jetzt dahinrafft. Der Cocker war verdammt schlau und einer meiner besten Freunde. Als er starb, der Cocker, habe ich geheult wie verrückt und dann drei Tage wie benebelt neben mir gestanden - wie das bei Todesfällen naher Angehöriger eben so ist. Zu den Hunden, die danach kamen, hatte ich keinen Bezug mehr, aber die waren dann auch schon nicht mehr ein Teil meiner Kindheit, so wie Bobby, der blondierte englische Jagdhund.

Sie erzählt dieser Tage viel von früher. Ich weiss, dass das ihre Art ist, die Dinge zu verarbeiten. Ich höre alle Geschichten jetzt schon zum x-ten Mal, aber es wird mir nie langweilig. Manchmal, nachdem wir bei ihm in der WG waren, und davor nach den Krankenhausbesuchen, sitzen wir bei einem Kaffee am Esstisch, der gleiche Esstisch, auf dem noch die Spuren der Matchboxautos zu erkennen sind, die ich als 5-Jähriger hinterlassen habe, und parlieren über den Krieg. Und die Zeit nach dem Krieg. Wie sie sich kennengelernt haben, 1946. Dann geht es meistens wild durcheinander - Annekdoten aus den Jahrzehnten, wild gemischt. Da wäre die Sache mit seiner Mutter, Krankenschwester beim Roten Kreuz im Reservelazarett Barbarossa Platz, die zur Kaserne nach Küstrin gefahren ist, um ihm Essen zu bringen. Das ihr Vater zur Hochzeit Kaninchen geschlachtet hat, dass es nur für die Brautleute Schnaps gab und man vorher Mühe hatte, an Kartoffeln ranzukommen ("wir hatten ja damals nichts!"). Die Reise nach Moskau im Winter 1970 oder 71, der Rückflug, bei dem sie beinahe abgestürzt wären oder das erste Auto, ein uralter Käfer von 1952 oder so, der nur noch auf drei Töppe fuhr und auch sonst ziemlich hinüber war. Und dann kommen wir früher oder später doch immer wieder auf die Krankheit, den Tod, das Dahinsiechen. Je mehr Erinnerungen an schöne Zeiten sich in den Vordergrund drängen, umso schmerzhafter wird das Aufwachen aus der Erinnerung - wenn man wieder in der Gegenwart angekommen ist.

Die kleine Madame hat mir im Kunstkurs ein Bild gemalt - kräftiges Orange dominiert und es erinnert an Afrika. Vor allem hat es eine warme Ausstrahlung und Herr F. war ebenfalls ganz angetan. Er und ich haben es heute über meinen Monitoren aufgehangen. Wunderbar.

Montag, 26. April 2010

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  • Ich bin müde, aber die kleine Madame und ich sind nicht mehr allein.
  • Das ist sehr schön.
  • Manchmal ist mein Herz eine verräterische Schlangengrube, manchmal auch einfach nur kaputt.
  • Meine Schulter wird langsam besser, aber ich will es nicht beschreien.
  • Manchmal bin ich meines Lebens spontan überdrüssig, manchmal bekomme ich vom Leben einfach nicht genug.
Ich bin sehr ambivalent - bei fast allem. Manchmal erschrecke ich vor mir selbst und finde mich seltsam undurchsichtig und eigentümlich. Neulich habe ich gelesen, dass depressive Menschen angeblich intelligenter seien als andere, und wenn das stimmt, dann macht das wenigstens alles noch halbwegs einen Sinn - zumindest dann, wenn es für Teilzeit-Schwermütige auch stimmt. Aber dann kommt wieder das Ambivalente in mir zum Vorschein und dann kann ich nicht verstehen, warum mein Herz manchmal so eine finstere umwehte Schlucht ist. Dann bin ich einfach nur gut drauf und alles ist schön.
Ich weiss - das ist bedenklich. Aber wozu zu einem Professionellen gehen, wenn man die Ursachen für das eigene Chaos doch schon kennt? Warum das alles nochmal aufbereiten und breittreten, wenn man eigentlich so weit ist, dass man gerne ein wenig Ruhe im Kopf hätte?
Manchmal macht einfach garnichts einen Sinn.

Mittwoch, 21. April 2010

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Die kleine Madame und ich schlagen uns seit anderthalb Wochen alleine durch, und dafür, dass wir darin keine Übung haben, läuft es ganz gut. Damit da keine Missverständnisse aufkommen: Die kleine Madame und ich sind nur vorübergehend solo.
DkM und ich organisieren uns den Alltag so zurecht, wie er uns gefällt. Das ist nicht immer einfach und meistens ziemlich stressig, und doch sind wir zwei im großen und ganzen ziemlich entspannt. Und wir brechen mit ein paar alten Gewohnheiten (die ich nicht Regeln nennen will) und machen so ein paar Dinge einfach anders.
Die Kunst, an der wir uns üben, ist die Organisation unseres chaotischen Alltags. Dabei ist man(n) anfangs doch überrascht, woran man alles denken muss und wieviel es so zu tun gibt.
Da wäre der Haushalt, ein unendlich weites Feld, dass ich seit langer Zeit regelmäßig beackere - aber eben nie zur Gänze. Wenn man dann ausnahmsweise mal für alles auf einmal zuständig ist, dann stolpert man über Dinge, die vorher nie auf dem eigenen Radarschirm aufgetaucht sind. Beispielsweise Zimmerpflanzen, und die Pflege der selbigen mit Frischwasser. Gleiches gilt für die kleinen Krümel, Haare, Fussel etc., die sich überall - vornehmlich in der Küche - ansammeln und weggewischt werden wollen. Oder die Kalkflecken in der Spüle. Geschirrspülmaschinen, die man nicht nur ein- und ausräumen muss, sondern gelegentlich auch schon mal anstellen. Staubsaugen - eine immer schon eher lästige Pflicht, vor der man sich nur schwer drücken kann, wenn man einen dreissig Kilo Retriever im Fellwechsel zu Hause hat. Einkaufen - kein Problem, ich finde mich in jedem halbwegs sortierten Supermarkt zurecht, habe einen Überblick über die Preise und kann spontan am Tagesangebot der Fleischtheke entscheiden, was ich später kochen werde. Aber einen Einkaufszettel schreiben und dabei nicht die Hälfte vergessen, ist eine wirklich hohe Kunst. Schularbeiten, die Freizeitaktivitäten dkM organisieren, zum Kinderarzt fahren, Entschuldigungszettel schreiben, dafür Sorge tragen, dass dkM ihr Zimmer aufräumt, die Zahnspange trägt, ihre Spielsachen wieder wegräumt und die Zähne putzt... wie viel Zeit so etwas kosten kann - da macht man sich vorher kein Bild! Und Frühstück machen, Schulbrote schmieren, den Köter drei Mal am Tag ausführen und den Kater füttern, Mittagessen kochen, zur Nachhilfe fahren, Reiten und den Malkurs nicht vergessen, dazwischen die Hausaufgaben kontrollieren und ein vollgekotztes Handwaschbecken sauber machen und nebenbei volltags arbeiten gehen. Ohne meinen Terminkalender wäre ich verloren!
Es gibt kleine Rätsel, die ich noch nicht lösen konnte. Wo kommen beispielsweise die Vasen hin, wenn man sie nicht mehr braucht? Wie hängt man Pullover so auf, dass man sie anschliessend nicht mehr bügeln muss? Wo baut man zwischendurch mal eine Ruhepause ein? Aber wir kommen ganz gut zurecht und auch wenn ich gerade hundemüde bin (das Aufstehen um 4:30h bekommt mir einfach nicht), so muss ich doch festhalten:
Das ist eine schöne Erfahrung, dkM und ich - so ganz auf uns gestellt, nur nach eigenen Regeln spielen. Aber trotzdem sind wir nur zwei Drittel vollständig und ein Drittel ganz schön einsam.

Montag, 19. April 2010

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Gestern das erste Mal zu ihm in die WG - Berlin Mitte, 11. Stock. Der Pfleger, ein angenehmer Typ mit Fleichtunneln in den Ohren, so groß, dass man locker den Zeigefinger durchstecken könnte, öffnet die Tür und zeigt mir das Zimmer. Er liegt dort, wirres Haupthaar, die Augen geschlossen und döst. "Heute ist er etwas müde", sagt M., der Examinierte, und brüllt ihn dann freundlich aus dem Schlaf. "Sie haben Besuch!" - ruft er direkt in sein Ohr, sehr laut - aber so ist das eben mit Schwerhörigen.
Er schlägt die Augen auf, schaut wirr, und fixiert mich dann. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht und er gibt mir die Hand, seine Augen ganz klar und wach und ich denke "aha, also alles Butter. Das wird doch wieder"
Fünf Minuten und ein paar geschriebene Zeilen später weiss ich, dass er mich für einen Pfleger hält und auf Fotos weder mich noch den Rest seiner Familie erkennt. Eine Stunde lang konfrontiere ich ihn schriftlich Stück für Stück mit Fakten aus seinem sozialen Umfeld - und er weiss von nichts. Er schreibt, dass er gerne mit seiner Frau ein Eis essen gehen möchte, und dann schlägt er einen alten Focus auf, blättert darin und deutet bestimmt auf ein Foto von Maria Riesch. Ich frage, wer das ist und er nimmt einen Zettel und schreibt: "Meine Ehefrau".
Da liegt er dann also, wirres Haar, wirrer Geist, losgelöst aus seinem eigenen Leben, mit sich selbst und weiss nicht mehr, wer er ist. Und ich sitze daneben und frage mich,wie ich damit umgehen soll, und weiss es nicht. Zuerst: Ich will nicht mehr wiederkommen. Wozu auch? Ich komme ja zu einem Fremden. Aber dann: Es ist eben so, dass man nicht frühzeitig aufgeben darf. Vielleicht passiert ja doch noch etwas. Und vielleicht sollte ihm mal jemand die wirren Haare schneiden.

Mittwoch, 14. April 2010

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Die Akkusachstandsanzeige sagt: Noch 56 Minuten. Sollte reichen. Also: Zwei selbstgemixte Cuba Libre später bin ich in einer sehr lockeren Stimmung. Die habe ich jetzt aber auch bitter nötig.
Ich habe etwas, das hat der Orthopäde meines Vertrauens als "Rotatorenmanschetten-Entzündung" bezeichnet. Das ist eine ätzende wie schmerzhafte Entzündung jener Sehnen, die den Arm am Torso halten. Ursache dafür ist eindeutig zu viel Sport. Meine Physiotherapeutin, die ich nunmehr seit ein paar Wochen konsultiere um das Problem in den Griff zu bekommen, hatte dazu nur ein Zitat ihres Opas in Petto: "Treibe Sport oder bleibe gesund!". Wahrheiten, lässig ausgesprochen.
Der Hohn ist ja: Ich habe mit dem Sport erst spät angefangen. "Wenn Sie etwas gegen Ihre Rückenschmerzen machen wollen, dann treiben Sie Sport. Gehen Sie doch in ein Fitnessstudio", sagte irgendwann der Orthopäde, dem ich das Vertrauen mittlerweile entzogen habe. Und so ging ich also zum Sport,  tat etwas für meinen Rücken, hatte alsbald Erfolg und keine Rückenschmerzen mehr. Aber dann kam der Ehrgeiz. Immer wieder dieser verdammte Ehrgeiz. Mehr Gewichte, mehr Wiederholungen, seine eigenen Grenzen finden. "Du musst deinen Muskel reizen, damit der wächst!", sagte der Muckibuden-Trainer zu mir und ich hörte und reizte meine Muskeln. Tja, leichtgläubig, wie ich nun einmal bin, scheinbar einmal zu oft. Jetzt schleppe ich seit zwei Monaten eine äusserst schmerzhafte Entzündung der verfickten Rotatorenmanschette mit mir rum, die einfach nicht mehr abheilen will. Und mittlerweile ist auch der neue Orthopäde meines Vertrauens etwas ratlos. Und es ist ja nicht so, dass das die einzige Scheisse ist, die ich gerade am köcheln habe.
Nächste Woche mehr. Oder so.

Es glimmert.

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Der Herr F. und ich pflegen ja einen sehr offenen Umgang miteinander. Montags bekomme ich jedesmal einen ausführlichen Lagebericht vom Wochenende: Wo war er, mit wem, warum und wie lange. Wieviel Alkohol, wie besoffen, wie verkatert am nächsten Tag. Dabei sind selten Überraschungen dabei, denn ich lese sein Facebook Profil mit und da bin ich  dann (neben 250 anderen "Freunden") schon bestens im Bilde.
Seine Intermezzos mit dem anderen Geschlecht habe ich das zweite Halbjahr 2009 therapeuthisch begleiten dürfen. Allerdings ist da jetzt mit der neuen Bekannten so etwas wie Ruhe eingekehrt. Was ganz schön ist - für ihn. Uns sind seitdem etwas die Themen weggebrochen.
Eine weitere Angewohnheit, die dem Herrn F. innewohnt, ist seine offene Bürotür. Und lautstarkes Telefonieren. Beides zusammen führt dann dazu, dass unser Gang voller Büros und Kollegen/Innen bestens über alles mögliche bescheid weiss. Im Grunde wissen wir alles.
Der Höhepunkt seiner "open-door-policy" ist jedoch sein Stuhlgang: "Alter, ick geh' jetzt kacken. Ick hör' nämlich schon den Zug kommen. Der fährt gleich ein!". Dann: 15 Minuten Ruhe, Herr F. ist stuhlen. Wenn er wieder zurückkommt: "Alter, erstma eine schöne dicke Wurst in die Schüssel gedrückt!" - dazu Handzeichen, die die Länge und den Durchmesser des morgendlichen Erfolgserlebnisses andeuten. Je nach dem werden dann noch Konsistenz, Geruch und sonstige Eigenarten detailliert beschrieben.
Diese Woche ist Herr F. nicht da - wegen Schulung. Das hatte ich glatt vergessen. Und auch ansonsten sind alle anderen Mitarbeiter meiner bescheidenen Abteilung unglaublich viel unterwegs und nicht im Haus. Und so sitze ich hier mutterseelenalleine und vermisse ein wenig den Lagebericht vom Wochenende. Zusammen ist man eben dann doch weniger allein.

Montag, 12. April 2010

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Im Büro. Müde wie sau, abgeschnitten von der Kaffeeversorgung, Mails checkend, sitze ich dröge an meinem Schreibtisch und denke: Nichts. Ist auch garnicht notwendig, denn die Summe der Herausforderungen hält sich zur Zeit doch sehr in Grenzen
Ich habe zur Zeit einen Lieblingskollegen: Herrn Fritz. Herr Fritz ist unerheblich älter als ich, hat eine steile Drogenkarriere hinter sich, vögelte einst alles, was nicht schnell genug auf den Bäumen war und gab sich ganz und gar dem Berghain, der Party und dem Techno hin. Vielleicht war ich ja deswegen gleich ganz Feuer und Flamme, als ich über Airen stolperte - da kam mir vieles bekannt vor, wenngleich auch keinesfalls aus eigenem Erleben. Ich bin der Kontrast, das Yang zu Herrn Fritz. Immer geradeaus, nie vom Weg abkommend, immer schön der Reihe nach. Bis auf einmal. Da aber richtig. Gehört jetzt aber nicht hierher.
Er, der Herr Fritz und ich, sind ein sehr schönes Pärchen in unserer Haltung zu dem Hier und Jetzt. Wir teilen die gleichen Aufgaben, Arbeiten, Zuständig- und Lustlosigkeiten. Wir haben uns so sehr aufeinander eingestellt, dass wir manchmal schon die Gedanken des anderen lesen können - wie ein altes tuntiges Ehepaar. Wir gehen sogar schon am Wochenende gemeinsam Fahrrad fahren und was jetzt eigentlich noch fehlt, das ist ein gemeinsamer Urlaub (haben wir aber schon für Anfang Mai anberaumt: 2 Tage Radtour - mit allem drum und dran).

Zur Zeit mangelt es an Herausforderungen. Zumindest im Büro. Und das ist eigentlich ganz passend, denn ausserhalb des Büros gibt es Herausforderungen genug. Diese Herausforderungen verfolgen mich bis in den Schlaf. Heute Nacht beispielsweise zwei mal exakt der gleiche Traum: Sie ruft mich an und sagt: "Er ist vor 12 Minuten gestorben". Warum ich zwei Mal träume, dass er vor exakt 12 Minuten sein hospitalisiertes Restleben ausgehaucht hat, weiss ich auch nicht - ich weiss nur, dass sich da beide Male ein Gefühl von Erleichterung und Trauer breit machte. Dann aufgewacht und festgestellt, dass es eben nicht echt war. In diesem Moment konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich nun erleichtert oder enttäuscht war. Man sieht, ich habe ein ambivalentes Verhältnis zum Tod.

Ich warte jetzt auf Herrn Fritz. Ich will jetzt ein paar Geschichten hören, wie sein Wochenende war, wie er wieder grenzwertig über die Stränge geschlagen ist, ohne rückfällig zu werden und eine Nase zu nehmen. Wie er den Exzess immer nur knapp umschifft. Denn das gibt mir das wohlige Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben.

Samstag, 10. April 2010

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Seit Januar geht das jetzt so: Zwei bis dreimal die Woche ins Krankenhaus, sich das Elend anschauen, hoffen, bangen, Hoffnung fahren lassen, gleichgültig werden, auf alles scheissen. Jeden Tag telefonieren. Morgens und Nachmittags. Wie ist der Stand, was hat sich verändert, wie gehts ihm? Aber das alles geht irgendwie, ich funktioniere dabei. Das fällt leichter als erwartet, was vermutlich auch an der Gleichgültigkeit liegt, die irgendwann kam. Ihr gehts schlechter als ihm, denke ich manchmal, was aber auch kein Wunder ist. Es gab Zeiten, in den letzten Wochen, da war er nicht mehr er selbst. Nur noch eine demente Hülle kindgleicher Ahnungslosigkeit, mit offenem Mund ohne Zähne, dafür aber voller Schläuche. Ich habe mir das immer wieder angesehen. Am Anfang konnte ich kaum hinsehen, aber dann wuchs die Neugier, ja sogar Interesse an dem, was da medizinisch gerade abgeht. Sie bekam das aber alles mit und erkannte nach und nach, dass er nicht mehr derjenige war, den sie vor Jahrhunderten geheiratet hatte. Er verfiel und sie versuchte stark zu sein. Ständiges Auf und Ab. Mal war er schon so gut wie tot, dann plötzlich kurz vor der Wiederauferstehung. Dann wieder doch eher tot. "Vielleicht kommt er ja doch noch mal nach Hause", fragte sie ab und an, mit großen Augen, voller verzweifelter Hoffnung, und ich so, als Überbringer der schlechten Nachrichten: "Glaub' ich nicht". Sie nimmt mir das nicht übel und sie widerspricht auch nicht - ich bin wohl das Regulativ, das sie braucht um am Boden zu bleiben.

Er kann nicht mehr sprechen - seit Wochen schon nicht mehr. Sie sagt immer, dass sie das am meisten fertig macht. "Er will uns immer etwas sagen, aber ich verstehe ihn doch nicht!", sagt sie, andeutungsweise Verzweiflung in der Stimme. Ich werde dann heimlich wütend - wütend auf sie. Wütend über die Naivität, über das Ignorieren der Tatsachen. Und vor allem: Was hofft sie eigentlich zu hören? Was kann er wohl wohl noch sagen, das er in den letzten 63 Jahren mit ihr nicht schon gesagt hätte? Natürlich bin ich ungerecht. Aber die meiste Zeit ist nicht zu erkennen, dass er überhaupt noch etwas Sinnhaftes denkt. Er schaut uns manchmal an, als wenn er uns noch nie zuvor gesehen hätte. Oder aber er dämmert mit geschlossenen Augen vor sich hin, während der ganze Rotz Blasen werfend aus dem Luftröhrenschnitt sabbert. Sie schaut mich dann immer mit großen Augen an, als wolle sie sagen, ich solle etwas tun. Ihn da rausholen. Und dann, wenn ein bestimmter Teil seines Gehirns einen Stromstoß bekommt und sein Mund ein abwesendes Lächeln formt, so wie bei einem Säugling, wenn die Neuronen noch machen was sie wollen, dann sagt sie immer, voller Hoffnung "Schau mal, jetzt lächelt er! Schau doch!" - ganz so als ob ich es nicht selbst sehen würde. Nur: Dieses Lächeln bedeutet gar nichts, es ist nur ein Produkt des Zufalls. Dann werde ich nur noch wütender.
Ich fahre viel rum und telefoniere noch mehr. Sozialarbeiter, Krankenhaus, Pflegeeinrichtung, Amtsgericht - der ganze Behördenscheiss. Trotzdem bleibt da immer dieser Blick, dass ich etwas tun soll, etwas unternehmen, damit es ihm besser geht oder ihr den Druck nimmt. Aber wenn ich mir alles anschaue, die ganze bekackte Gesamtsituation, dann denke ich, dass der Tod seinen Schrecken längst verloren hat.

Donnerstag, 8. April 2010

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Ich lese gerade: I am Airen Man. Vielleicht weckt das ja gerade wieder das Bedürfnis, zu schreiben. Ich weiss es nicht. Gut möglich.
Da nagt etwas in mir, unaufhörlich und will raus. Etwas, das sich mitteilen will, anonym, offen, rückhaltlos. Manchmal glaube ich, dass ich das tun muss, einfach so, als eine Art Therapie. Meinen banalen Alltag festhalten - oder vielmehr: Meinen banalen Kopf. Aber dann habe ich Angst. Angst, zuviel zu sagen. Und dann lasse ich es ja doch.