Dienstag, 31. Mai 2011

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  • "Ich verliere den Überblick über meine Brüste!", sagt Die bessere Hälfte und schaut ratlos an sich hinunter. Ich muss dann doch grinsen, wie ich ihr den Kleinen Mann reiche und sie immer noch mit Fragezeichen auf der Stirn den Still-BH öffnet. Es wurde dann die Linke - ihm war's egal.
  • Alle sagen, er sieht aus wie ich. Ich weiss nicht. Bestenfalls sieht er mir ähnlich als ich so alt war wie er jetzt. Aber auch da bin ich mir nicht sicher. In jedem Fall war es Liebe auf den ersten Blick.
  • "Der Wutzwerg!", so nennt ihn unsere Hebamme. Sie meint damit sein ungestümes Temperament, wenn etwas nicht schnell genug nach seinem Kopf geht, beispielsweise die Raubtierfütterung. "Der wird später, wenn er größer ist, die Bauklötze durch's Zimmer werfen..." Naja, wir werden sehen. Aber denkbar wäre es, wenn er etwas von mir hat.
  • Seine Schwester, Die kleine Madame, die jetzt garnicht mehr so klein wirkt - so im Vergleich - kommt mit ihm sehr gut zurecht. Mädchen in diesem Alter haben scheinbar eine ganz unbekümmerte und instinktgesteuerte Art, mit Säuglingen umzugehen.
  • Ich bin ganz froh, im Büro mit anderen Themen konfrontiert zu werden und mal Abwechslung vom ganzen Baby-Content zu bekommen. Nur "Kind" fordert auch nicht wirklich. Der besseren Hälfte geht's ähnlich, allerdings leidet sie immer noch unter Schwangerschaftsdemenz. Das ist der Zustand, in dem man schnell Dinge vergisst, die nicht unbedingt zur Kinderaufzucht gehören. "Man ist ganz fokussiert", sagte Lilli, eine Bekannte, die zwei Wochen vor uns geworfen hat. Vermutlich hat sie recht und die Evolution hat sich dabei etwas gedacht.
  • Kein Tag ist wie der andere. Immer dann, wenn man glaubt, besser in die Sache hinein zu wachsen, das Kind besser zu verstehen, kommt ein Horrortag, an dem Der kleine Mann kurz vorm Durchdrehen ist.
  • Irgendwann schlafen sie alle mal durch.

Sonntag, 29. Mai 2011

Sie und Er

Im Bad ihrer Wohnung, in die sie 1958 einzogen, zusammen mit meinem Vater, der damals gerade 10 Jahre alt war, stehen seit meiner Kindheit (und vermutlich auch lange schon davor) zwei Zahnputzbecher. Auf dem einen steht "Sie" und auf dem anderen, man kann es erahnen, "Er".
Irgendwann, es ist noch nicht wirklich lange her, wurden beide Becher zu einem Symbol, unfreiwillig und subtil, doch für das sehende Auge durchaus bemerkbar:
In jenem Becher, auf dem "Sie" steht, steckt noch eine Zahnbürste, der andere ist leer. Und doch ist er noch da.

Sie haben mir die Geschichte, wie sie sich trafen, oft erzählt. Es ist tatsächlich so etwas wie eine romantische Liebesgeschichte, wenn es zu jener Zeit überhaupt so etwas wie Romantik gab. Und schliesslich waren sie bis zum Ende zusammen, 65 Jahre lang, ein ganzes Menschenleben, bis er dann kurz vor ihrem 64. Hochzeitstag gehen durfte.

Ich weiss nicht genau, wie sie künftig die Kraft finden wird, weiter zu machen. Im Moment hält sie sich sehr wacker und stellt neue Regeln auf, um zu funktionieren.
"Einmal am Tag vor die Tür gehen, und wenn ich nur um den Block laufe!", ist eine davon. Bisher hält sie das eisern durch.
Aber sie weint auch viel. Dabei war sie mitunter eine harte Frau, ansatzweise soziopathisch, manchmal ungerecht bis zum Abwinken. Aber das verliert jetzt immer mehr an Bedeutung.

Wie lebt man weiter, wenn man so lange zusammen war und dann einer vor dem anderen geht. Überkommt einen nicht ein namensloses Grauen? Am Ende des eigenen Lebens, wenn die Tage gezählt sind, möchte man den letzten Abschnitt nicht alleine gehen.
Und dann steht man damit alleine da, der Partner bereits vorausgegangen. Er hatte Begleitung, sie bleibt auf sich selbst gestellt.
Das ist ein Grund zum Weinen, über die Trauer hinaus.

Die Last der Erinnerung der gemeinsamen 65 Jahre ist gleichzeitig Trost.
Wenn sie nicht in dem Mausoleum der Wohnung sein könnte, in der sie nun seit 53 Jahren lebt, würde sie vermutlich noch schneller verwelken. So aber hat sie das Gefühl, dass etwas von ihm noch da ist, wie der Zahnputzbecher, dieser stumme Zeuge im Bad. Ich vermute, das hält sie aufrecht.

Ab und an denke ich an ihre Geschichten. Und daran, wie es ist, am Ende des eigenen Lebens alleine auf diese Geschichte zurückzublicken.

"Immerhin hatten wir diese lange Zeit miteinander. Viele haben das ja nicht. Das tröstet mich"

Ich weiss nicht genau, ob ich das glauben soll.

Samstag, 21. Mai 2011

Das Leben und der Tod liegen dicht beieinander

Irgendwann 1984 oder 85 spazierten er und ich durch den Grunewald, unweit des Grunewaldsees, gemeinsam mit Bobby, dem Cockerspaniel. Damals, kurz vor dem Ende jener Zeit, als ich jedes zweite Wochenende bei meinen Großeltern übernachten musste, an der Schwelle einer Epoche, als mit Einsetzen der Pubertät die eigene Familie einem suspekt wird, fragte ich immer wieder nach dem Krieg und seinen Erlebnissen während dieser Zeit.
Ich erinnere mich, dass die meisten Geschichten einen beinahe humoresken Touch hatten und in seinen Erzählungen über jene Zeit von 1943 - 1945 so gut wie nie jemand starb. Aber je älter ich wurde umso bohrender und kritischer wurden auch meine Nachfragen und irgendwann wurden die Schilderungen vermutlich authentischer, weniger schön gefärbt - irgendwann ging es dann eben auch um den Tod, wenn auch eher nebenbei.
Damals, mit 12 oder 13 Jahren, war in meinen Vorstellungen jeder Soldat des zweiten Weltkriegs - also auch mein Großvater -  ein erwachsener Mann, und erst viel später, als ich vielleicht 25 oder 30 Jahre alt war, begriff ich, dass es alles Kinder gewesen waren, mit ihren 18 Lebensjahren, die da in die Welt geschickt und den unvorstellbarsten Albträumen und Abgründen des menschlichen Wesens ausgeliefert wurden. In seinen Erzählungen lagen plötzlich das Leben und der Tod manchmal nur Sekundenbruchteile auseinander. Auch wenn er sich weigerte, Details zu nennen, auf die ich ganz wild war, so begriff ich doch irgendwo in mir drin etwas von der Grausamkeit und Endgültigkeit dessen, was er erlebt hatte.
Ich hatte bestenfalls eine wage Vorstellung davon, dass diese Menschen so jung starben, dass sie alles verpassen sollten, wofür man in diese Welt geboren wird. Und so fragte ich ihn an diesem einen Vormittag, ob er damals oder heute an ein Leben nach dem Tod glauben würde.
"Da ist nichts, daran glaube ich nicht. Wenn es vorbei ist, ist es vorbei"
Er sagte das sehr bestimmt, ohne jeden Zweifel und seit diesem Vormittag hatte ich mir seine Einstellung zueigen gemacht.
Da ist nichts. Punkt.

Nun, wenn da doch etwas sein sollte, dann weiß er seit kurzer Zeit mehr darüber als ich.