Donnerstag, 21. Oktober 2010

Mittsommer

Donnerstag

Man fliegt zwei Stunden, immer Richtung Norden, und beim Landeanflug sehen wir drei, die bessere Hälfte, die kleine Madame und ich, Kiefern, Tannen, Wald und wissen: Gleich landen wir in Arlanda.

Als wir endlich unser Gepäck haben und am abfotografierten Königspaar und einem Astronauten vorbeigehend das Gate verlassen, wartet er schon auf uns: Der Herr D.
Der Herr D. und ich sind seit Kindertagen befreundet und seit einer gefühlten Ewigkeit wohnt er hier oben, knapp unter dem Polarkreis, und strahlt zwischen seinen Sommersprossen hindurch. Ich strahle zurück.
Wir sind zum ersten Mal alle zusammen hier oben und wir wollen zum ersten Mal Mittsommer feiern, so wie man das in Schweden eben macht, Ende Juni. Wir haben nur eine wage Vorstellung, was das bedeutet. Aber Herr D. versicherte uns, dass es viel mit Essen und Trinken zu tun hat. Und das immer viele Menschen zusammen kommen. Und das viel gesungen wird. Auf Schwedisch, versteht sich.
Bis auf die kleine Madame, fanden wir das alle sehr aufregend und vielversprechend. Und so sind wir jetzt also hier, mit einer Menge Schnaps im Koffer und einer Menge Vorfreude im Herzen.

Wenn man in Arlanda landet, ist man noch lange nicht da.
Wir fahren lange Zeit über Land, zunächst auf Autobahnen, dann auf Landstrassen und am Ende biegen wir in einen Feldweg ein, der zu einem Kiesweg wird, dann Schotter, rechts und links undurchdringlicher Wald und am Ende ein Carport neben einer gigantischen Scheune. Als der Motor aus ist... Stille. Wir sind mitten im Nirgendwo, hier gibt es nichts zu hören - nur der Wind in den Bäumen und das Schreien der Vögel.
Die Hausherrin erwartet uns schon, groß und blond und fröhlich, und es gibt eine herzliche Begrüßung. Nur die kleine Madame steht verunsichert bis schüchtern daneben; kennt sie doch den Herrn D. nur sehr flüchtig und die Hausherrin garnicht. Die Hausherrin lässt sich jedoch davon nicht beirren: Sie packt die kleine Madame ungestüm und drückt sie ansich.
Schwedische Herzlichkeit, vermute ich.

Es ist Donnerstag Abend, der erste Whiskey ist in den Gläsern, das Abendessen bereits im Bauch und die letzten Neuigkeiten aus der Heimat sind ausgetauscht. Aber heute Abend bleibt keine Zeit für Müßiggang.
"Wir müssen noch Kartoffeln putzen", sagt Herr D. und zusammen holen wir einen großen Sack Kartoffeln aus dem Keller, einen Kochtopf, so groß wie ein Fass, sowie zwei Eimer mit klarem Wasser und zwei Bürsten.
Die kommenden Stunden sitzen wir über die Eimer gebeugt und schrubben die Erdäpfel. Es ist ein harter Job, schwerer als erwartet, denn der Rücken schmerzt und die Hände verwandeln sich im kalten Putzwasser zu Eisklumpen. Ich bin ein verweichlichtes Stadtkind und dagegen hilft nur noch mehr Whiskey. Die Frauen stehen derweil in der Küche und treffen andere, mir unbekannte Vorbereitungen für morgen.
Ich frage, wie viele Gäste morgen erwartet werden, und Herr D. zuckt nur mit den Schultern. So genau wisse er das nicht, sagt er. Jeder sei willkommen, und wer Zeit hat (und nichts anderes vor), würde eben vorbei kommen. Aber so 30 Leute würden es schon werden.
Die große blonde Hausherrin löst mich ab und putzt mit dem Hausherren zusammen die letzten Kartoffeln, während ich matt in der Birne und hundemüde auf einem Klappstuhl gegenüber Platz nehme und verträumt nach der besseren Hälfte Ausschau halte, die die kleine Madame im Wohnzimmer zudeckt, welches für die kommenden zwei Nächte unsere Schlafstatt sein wird. Mein Hirn denkt schon in Bandwurmsätzen, lache ich in mich hinein und dann merke ich, dass es ja doch laut war. Der Suff. Wie schön.

Ich nehme mir die Militärkopfhörer von der Kommode im Flur und trete hinaus in die laue, dunkle Nacht. Sofort sind ein paar Mücken da, aber die sind jetzt auch egal.
Diese Kopfhörer haben eingebaute Mikrofone und stammen aus Armeebeständen. Sie verstärken die Umgebungsgeräusche und man bekommt ein Gehör wie eine Fledermaus. Man kann die Mücken summen hören, auch dann, wenn sie eigentlich unhörbar weit entfernt sind. Und man kann das Gras hören, wenn man mit den Sohlen auftritt, wie es raschelt und knackt und die kleinen Kieselsteine sich verschieben und aneinander schlagen. Man hört entfernt die Eulen und Geräusche aus dem Haus, die eigentlich von Wänden verborgen werden. Aber das größte ist der Wind in den Bäumen. Ich stelle mich auf den dunklen Vorplatz, schliesse die Augen und lausche dem Wind, wie er durch die Blätter fährt, hundertfach verstärkt - und kein Laut einer Zivilisation ist zu hören. Ich bin allein auf der Welt.

Die bessere Hälfte und ich liegen nebeneinander auf der ausgeklappten Couch, die so unbequem ist, dass ich mich etwas um meine Bandscheiben sorge. Auf einer Matratze neben uns liegt die kleine Madame und schnarcht friedlich.
"Und wie gefällt's dir?", frage ich.
"Mir gefällt's gut", und ich höre es an ihrer Stimme, dass alles in bester Ordnung ist.

Freitag


Ich hätte jetzt gerne eine Ibuprofen zum Frühstück. Also durchsuche ich unseren Koffer, jedoch ohne Erfolg. Scheisse - Schädelgedrön deluxe.
Statt einer Tablette zaubert Herr D. Kaffee aus einem wundersamen, schwedischen Kaffeeautomaten, der nur aus einer Kanne besteht, und die Frauen, die schon ausgelassen, fröhlich und beängstigend fit sind, bereiten das Frühstück vor, während ich unnütz mit verquollenen Augen in der Gegend herumsitze und maulaffenfeil halte. Ich bin, was Alkohol betrifft, wirklich der Antiheld. Und dabei soll es heute erst losgehen. In wenigen Stunden kommen die ersten Gäste.
Das Frühstück wirkt Wunder, mein Kopf klart auf, und kaum, dass wir alles abgeräumt haben, kommt auch schon Besuch. Es sind der Hausherrin Eltern, die vorfahren und alsbald Unmengen an Lebensmitteln ausladen. Wir begrüßen einander und wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, wir würden uns schon ewig kennen: Sie umarmt alles und jeden, er grinst fröhlich und verteilt seinen kräftigen Händedruck unter den Anwesenden. Beide reden in einer Tour und gelacht wird auch spontan und viel. Die bessere Hälfte, die kleine Madame und ich verstehen jedoch kein Wort und erst Herr D. befreit uns aus der etwas misslichen Situation, als er die Rolle des Dolmetschers einnimmt. Dann einigen wir uns auf Englisch.

Dieser Ablauf wiederholt sich später noch ungefähr 11 Mal. Menschen kommen, jeder begrüßt jeden, als wären wir alle verwandt, oder zumindest die besten Freunde, und wir gehören auch dazu, auch wenn wir uns noch nie vorher begegnet sind. Die Sprachbarrieren umschiffen wir mit Englisch, was aber so eine Sache für sich ist: Der gemeine Schwede (zumindest der, der im Raum Stockholm lebt) kann zwar eigentlich sehr gut Englisch, nur traut er sich nicht, selbiges auch zu sprechen.
Damit geht es ihm so wie mir.
Mit zwei drei Schnäpsen bekommen aber sowohl die Schweden als auch ich unsere Hemmungen in den Griff und dann kann es auch schon los gehen.

Während nach und nach immer mehr Gäste eintrudeln, sind die bereits Anwesenden damit beschäftigt, Vorbereitungen für die Festlichkeiten zu treffen.
Es ist nämlich so, dass die Vorbereitungen für das Fest schon Teil der Veranstaltung sind. Zwar bereitet man als Gastgeber ein paar Dinge vor (siehe Kartoffeln putzen), aber eigentlich macht man den Rest zusammen. Und deswegen fängt Mittsommer auch schon immer gegen elf Uhr am Vormittag an.

Dabei geht alles seinen traditionellen Gang: Die Frauen verschwinden in der Küche, die Männer bauen das Partyzelt auf, tragen Gartenmöbel durch die Gegend und hängen Hängematten zwischen Bäume. Mit einer unerklärlichen Leichtigkeit lösen sich alle anstehenden Aufgaben von alleine und schon heisst es: Den ersten Kaffee trinken. Ist ja schon Mittag.
Mittlerweile hat sich die Anzahl der Kinder exponentiell entwickelt. Die kleine Madame ist dabei aber die Älteste und steht etwas verunsichert mitten im Geschehen. Verrückt, die sprechen hier ja  alle irgendwie anders. Dann sitzen ich mit drei kleinen Brüdern (3, 4, und 5 Jahre alt - einer sieht aus wie der andere) und der kleinen Madame um einen Tisch und mache Seifenblasen mit Seifenblasenpistolen. Der Wahnsinn, wir haben alle sehr viel Spass.
Zum Kaffee gibt es Unmengen Kuchen und das erste mal in meinem Leben esse ich Lachstorte mit Rogen

Der Tag schreitet langsam voran und es gibt Schnaps.
Alkohol ist elementarer Bestandteil der Feierlichkeiten. Das Geheimnis besteht also darin, möglichst langsam zu trinken, denn immer wenn das Schnapsglas leer ist, füllt es irgendjemand auf und schon beim nächsten Trinklied heisst es dann: "Runter damit!"
Herr D. hat kleine Hefte hergestellt, in denen das Liedgut für den Tag zu finden ist: Schwedische Trinklieder und "Eisgekühlter Bomalunder"
Ein paar Schnäpse später, nachdem wir "Älgen Hans" ("Der Elche Hans") ungefähr 300 Mal gesungen haben, kommen wir zu "Eisgekühlter Bomalunder", gesungen von 30 angeschickerten Schweden, die etwas mit der deutschen Sprache hadern aber dabei sehr viel Spaß haben.

Mehr Kuchen und noch 20 Kannen Kaffee.
Das Wetter spielt mit und es ist angenehm warm. Die Kinder und Frauen laufen in die umliegenden Wiesen und pflücken Blumen und Herr D. holt ein Holzgestell aus der Scheune und gemeinsam bauen wir es vor dem Haus auf.
Das Gestell ist eine Art Maibaum und als die Blumenpflückerinnen zurückkommen, beginnen die Frauen damit, die Blumen um das Gestell zu pflechten. Jung wie Alt macht dabei mit und die dafür notwendige Fingerfertigkeit besitzen nicht nur die alten Frauen, sondern auch die jungen Mädchen

Wir bereiten ein paar Spiele vor. Büchsenwerfen, Stiefelweitwurf, einen Kugelschreiber an einer Schnur an die Hose gebunden in eine Flasche fädeln (und dabei aussehen, als ob man gerade schön in den Wald scheisst), Gliedermassstaßweitrücken und so weiter. Es werden Mannschaften gebildet und dann geht es auch schon los. Kinder, Erwachsene - alles durcheinander und doch auch wieder nicht. Wir schreiben unsere Punkte und Ergebnisse auf und später, als alle fertig sind, werden die Zettel ausgewertet. Meine Mannschaft macht den vorletzten Platz. Wir Peifen.

Mehr Schnaps. Hier und da steige ich auf Bier um und nehme mir ab und an ein Stück von der Lachstorte. Wenn es mir gelingt, den Kindern mal ein paar Minuten in einer der Hängematten abzutrotzden, liege ich faul in der Gegend herum. Aber dann steht der Tanz um den Maibaum an.

"Mittsommer ist ein Fruchtbarkeitsfest", sagt Herr D. und deutet mit seiner Flasche auf das Getümmel vor uns.
Wir stehen etwas abseits, es spielt Musik und die Leute fassen sich an den Händen und springen im Kreis um das gigantöse Blumengebinde. Es wird viel gelacht und gesungen, mittendrin die bessere Hälfte und die kleine Madame.
"Also pass auf, was du tust", fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu und dann nuckeln wir ein wenig an unseren Bierflaschen.
Wir sind beide nicht so die Tanzbären.

Am Abend sitzen wir zusammen und essen - mal wieder. Diesmal gibt es Fleisch. Ein riesiger Grill wurde befeuert und jetzt steht die männliche Bagage um das Fleisch und hält Smalltalk, während der Grillmeister, ein mir namentlich unbekannter, junger, leicht übergewichtiger Schwede (ich habe längst den Überblick verloren, wer hier zu wem gehört), große Fleischbrocken wendet.
Dazu gibt es alle möglichen Arten von Salat, die Reste der Lachstorte und Schnaps und Bier. Also mir wäre jetzt nach einem schönen Rotwein, denke ich und steige auf Wasser um.
Mittlerweile haben wir alle unsere Sprachhemmungen abgelegt und reden locker in Englisch miteinander. Manchmal, bilde ich mir ein, verstehe ich sogar etwas Schwedisch.

Es wird nicht richtig dunkel hier oben.
Um elf Uhr spiele ich mit den Kindern und zwei anderen Vätern Fussball. Wichtig ist, dass man ständig in Bewegung bleibt, sonst fressen einen die Mücken auf.
Der Grill wird langsam wieder kalt und jetzt sind auch die Seitenwände vom Partyzelt heruntergelassen. Drinnen sitzen die Frauen zusammen, eingemummelt in dicke Strickjacken und Decken, während die Kinder draussen noch im T-Shirt herumtoben. Die kleine Madame ist auch noch kein Stück müde.

Die wenigsten Gäste fahren nach Hause. Stattdessen wird das Haus zu einem Heerlager, draussen werden Zelte aufgeschlagen und Luftmatratzen aufgepumpt.
Alle haben den ganzen Tag über kaum viel mehr gemacht als gegessen, getrunken, gesungen und geredet. Trotzdem sind wir alle anständig kaputt.
Draussen dämmert es dunkelblau in die Nacht hinein, als wir gegen zwölf Uhr auf unsere Couch kriechen, satt und zufrieden und sehr müde. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen ist dann ein denkbar einfacher: Das war ein schöner Tag!

Samstag

Die Ersten sind um halb acht schon wieder auf den Beinen. Es sind die Mütter unter den Anwesenden, die sich in der Küche versammeln, fröhlich durcheinander plappern und Kaffee und Tee aufsetzen und die Berge an Lebensmitteln aus dem Kühlschrank räumen und auf einem Tisch auf der Terrasse drapieren. Es ist ja noch genug da. Hier muss niemand Hunger leiden.
Herr D. ist entgegen seiner Gewohnheit auch schon wach und streift auf der Suche nach Kaffee dösig durch die Küche. Ich schliesse mich an und dann sitzen wir um kurz nach acht draussen und schlürfen was das Zeug hält.

Kinder rennen durcheinander, manche haben Nutella-Brötchen in der Hand (oder wie das hier heisst), Marmeladenmünder sind auch ganz groß im Kommen und der Rest klammert sich an große Kaffeetassen und hält sich ansonsten an Obst.
Es ist vielleicht zehn Uhr, die Väter tauchen langsam aus Schlafsäcken, Zelten und Zimmern auf, da wird der Grill schon wieder befeuert und der Rest an Fleisch ausgepackt.
Ich passe. Ich bin so satt, ich glaube, ich muss nie wieder essen.

Bis zum Mittag verabschieden sich nach und nach sämtliche Gäste, nicht ohne vorher noch beim Aufräumen geholfen zu haben. Schon gegen zwölf sieht alles wieder recht annehmlich aus, sogar die Küche. Ich habe keine Ahnung, wie die das machen. Es ist Magie im Spiel, mutmaße ich.
Als nur noch Herrn D.'s Schwiegereltern da sind, beschliessen er und ich, eine Runde mit dem Fahrrad zu drehen, und so fahren wir entspannte 26 Kilometer durch den schwedischen Wald, nebst abgelegener, manchmal pittoresk anmutender Siedlungen, die unvermittelt aus dem Nichts auftauchen. Hier wohnen also auch Menschen. Und das, obwohl es hier vermutlich nicht mal Strom gibt, geben kann.
Nach unserer Rückkehr trinken wir mal wieder Kaffee und essen, duschen endlich und gammeln in einer der Hängematten rum. Die kleine Madame wohnt praktisch in einer, und nur mit viel Widerworte räumt sie ihren Platz.
Der Tag vertrödelt sich, und die bessere Hälfte und ich geniessen es. Keine Verpflichtungen, kein Stress, kein Job - nichts. Einfach nur rumliegen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.


Am späten Nachmittag gehen Herr D. und ich auf seinen Acker hinter dem Haus, seine Jagdflinte geschultert. Er hat einen Jagdschein und jetzt wollen wir ein wenig auf Tontauben schiessen. Da wir keine Tontauben haben, behelfen wir uns mit Holzscheiten, die einer in die Luft wirft, während der andere anlegt.
Wir ballern ein wenig rum, ich bin ein Naturtalent und treffe mit jedem Schuss. Silbrig glänzt das Schrot im Holz, kleine Punkte aus Metall, die eigentlich Kleintiere wie Marder zerfetzen sollen. Die kleine Madame steht abseits und schaut neugierig. Ich winke sie heran, aber sie schüttelt den Kopf. Das ist ihr zu unheimlich.
Da kommt einer der Nachbarn den Schotterweg hinunter auf uns zugelaufen, aufgeschreckt durch den Lärm. Wir unterhalten uns eine Weile, aber dann ist es auch schon wieder Zeit für das Abendbrot - die Hausherrin und die bessere Hälfte haben Salate und Brote vorbereitet.

Abends stelle ich mich wieder mit den Kopfhörern vor die Tür. Der Eindruck ist wie schon am ersten Abend: Überwaltigend.
 
Sonntag

Mein Rücken ist wie Hackfleisch, der Rest ist in Ordnung.
Unser Flieger geht am Nachmittag und da muss man rechtzeitig los.
Wir packen unsere Taschen, und als Herr D. den Wagen aus dem Carport neben der Scheune rollen läßt, sind wir alle etwas niedergeschlagen. Eigentlich wollen wir nicht nach Hause, eigentlich könnten wir noch bleiben.
Wir fahren über Land, und es dauert wieder eine Ewigkeit, bis der Turm am Flughafen vor uns auftaucht, neben der alten Boeing 747, die man als Werbeträger rechter Hand abgestellt hat - ein mürrisches Ungetüm aus Aluminium und Blech.
Wir trinken noch einen Kaffee und essen ein Stück Kuchen, aber dann umarmen wir uns zum Abschied und kurz darauf verschwindet Herr D.'s Lockenkopf auf der Rolltreppe, hinunter zum Parkplatz, und wir drei bleiben allein zurück.
"Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän", dezentes Rauschen, dann Stille. Knacken.
"Wir haben eben gerade erfahren...", erneute Pause, wir sitzen in unseren Sitzen und warten auf eine Fortsetzung. Es liegt Spannung in der Luft.
"Die Deutsche Nationalmannschaft führt gegen England mit 2:1!"
Großer Jubel durch die Sitzreihen, nur die schwedischen Fluggäste schauen irritiert.
"Wir werden Sie natürlich während des Fluges weiter auf dem Laufenden halten. Keine Sorge", sagt der Kapitän. Am Ende wird es 4:1 stehen, ein fassungsloses Raunen geht durch den Airbus A319, und die kleine Madame wird vor Aufregung ganz rote Wangen haben.
Als wir in Berlin landen, ist es draussen heiss, und wir werden schon erwartet. Meine Mutter und die Pummelfee, stehen am Gate und recken die Hälse.
"Und wie wars?", fragt sie und der Hund wedelt aufgeregt mit dem Schwanz.
Wir sind uns alle einig, dass es schön war. Ein seltsam besinnliches Wochenende, denke ich.
"Es war familiär", versuche ich zu erklären, aber die Botschaft kommt nicht an.
Als wir im Auto sitzen und nach Hause fahren, denke ich an die Kinder und Frauen, wie sie den Maibaum geschmückt haben. Das man dort oben Traditionen nach wie vor pflegt (und lebt) und das diese Traditionen Menschen zusammenbringen.
"Es ist ein Fruchtbarkeitsfest", sage ich, als Mutter mich fragt, was es mit Mittsommer eigentlich auf sich hat.
"Na schau an. Nicht, dass mir da noch was zu Ohren kommt", frotzelt sie, aber ich höre garnicht richtig hin. Stattdessen denke ich an das vergangene Wochenende, lasse es an mir vorbeiziehen und denke: Das müssen wir nächstes Jahr wieder machen.
Später, als ich sie frage, stimmt die bessere Hälfte zu. Nur die kleine Madame weiss nicht so recht.
"Ich habe da keinen zum Reden gehabt. Die sprechen ja alle Schwedisch!"

Anfang August

Morgens um halbsechs stehen die bessere Hälfte und ich im Bad. Was vor uns auf der Waschmaschine liegt, scheint aus einer anderen Welt zu kommen. Es liegt auf jeden Fall in diesem Moment jenseits unserer Vorstellungskraft.
Die bessere Hälfte kichert leicht irre und ich denke: "Das ist absolut verrückt! Das kann nicht sein!"
Es sind zwei lila Streifen.
Nicht nur einer.
Sondern zwei.
Und wofür zwei Streifen auf einem Schwangerschaftstest stehen, ist ja allgemein bekannt.
"Mittsommer ist ein Fruchtbarkeitsfest", sagte Herr D.
Wie recht er haben sollte, sollte sich aber erst noch zeigen...

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