Montag, 31. Mai 2010

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  • Er ist wieder im Krankenhaus. Lungenentzündung nach Aspiration von Erbrochenem. Eine Tendenz ist schwer auszumachen. DIe Ärztin hat mich heute zu einem Gespräch gebeten "um die weiteren Behandlungsmöglichkeiten" zu erörtern. Wie geht man eigentlich damit um, wenn man über lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden muss?
  • Wir wollten am Wochenende mit DkM in die Frida Kahlo Ausstellung. Es gab erst viel Radau, weil DkM nicht hin wollte. Als wir dann endlich dort waren und die Menschansammlung vor dem Eingang gut und gerne hundert Meter lang war, wollten meine bessere Hälfte (MbH) und ich nicht mehr reingehen. Daraufhin gab es dann auch wieder viel Randale. Ach ja, Kinder.
  • Zum Trost in ein Starbucks um die Ecke. B-Prominienz getroffen, die man zwar vom Gesicht her kennt, aber keine Ahnung hat, wie die heissen und woher man sie kennt. Auch MbH hatte keine Ahnung.
  • Mehr Regen, mehr grauer Himmel. Teile der Winterbekleidung sind immer noch im Einsatz. Im Sommer.
  • Hier stimmt doch was nicht.

Donnerstag, 27. Mai 2010

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Ich habe getrödelt, ich weiss.
Das Wetter entspricht derzeit so ziemlich meiner Gemütslage: Wechselhaft, mal ziemlich windig, wolkig und ungemütlich. Ist aber auch kein Wunder, denn das Warten auf gute Nachrichten zieht sich hin.
Letzte Woche also seine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Wenn ich das richtig verstanden habe, wird die adipöse Gutachterin die Pflegestufe III empfehlen. Ich denke, das ist angemessen, denn sein Zustand wird ja eher schlechter denn besser. Das Hauptproblem ist die Demenz, und das er sich nachts immer die Trachialkanüle rausreissen möchte.
Das Leben eines Menschen in so einer Phase ist schwer mitanzusehen. Man ist reduziert auf etwas, das im Bett liegt, meist wirr, durchbrochen von klaren Momenten der Erkenntnis, und nichts weiter tun kann als auf den Fernseher zu starren. Alles, das uns selbstverständlich ist, ist unmöglich geworden. Alles, was wir als gegeben hinnehmen, fällt weg, jede Selbstständigkeit ist dahin. Ich denke oft, dass ich so nicht enden möchte. Lieber zehn Jahre jünger bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen als so.

Ansonsten habe ich die nicht ganz ungefährliche Angewohnheit, ab und an mein Fahrrad mit einer Schulter abzubremsen. Hatte ich nicht von der kaputten rechten Schulter erzählt? Naja, sei es drum. Aus Gründen der Fairness habe ich die Linke auch noch gleich ramponiert. Paritätische Verteilung.

Es stehen ein paar gute Dinge an. Die Mittsommerfeiern in Schweden beispielsweise. Und später Nordspanien und Toledo. Das sind Dinge, die braucht jeder Zwischendurch - raus und den Kopf frei bekommen.

Montag, 17. Mai 2010

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  • Ich hatte die letzten Tage zu tun, im Büro. Ja, ich weiss, wie das klingt. War aber so.
  • Am Frühstückstisch: "Und, kleine Madame, hast du gut geschlafen?" "Ja, ich habe voll schöne Sachen geträumt!" "Was denn so?" "Ich habe Räuber gefangen und getötet..." "Getötet?!" "Ja, mit Messern, Schwertern und Äxten und so." - Pädagogik ist ein hartes Business.
  • Am WE viel gekocht, gebraten und Mojitos gemixt. Ich soll dann des Nächtens wieder geschnarcht haben. Im Suff passiert das manchmal. Gestern dann mit einer Ibu600 alles wieder frisch gemacht.
  • Morgen wichtiger Termin in der WG. Da kommt der medizinische Dienst und wird ihn dann begutachten. Es geht um die Pflegestufe und damit um viel Geld.
  • Müde.

Montag, 10. Mai 2010

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  • DkM und ich haben uns auf ihre Fahrradprüfung vorbereitet. Am Freitag war Theorie - hat sie bestanden. Jetzt gerade läuft die praktische Prüfung. Ich bin ganz aufgeregt.
  • Der Kater bringt zur Zeit reichlich Untermieter mit nach Hause, vornehmlich Zecken, die wie grauglänzende Trauben an seinem Hals hängen und sich irgendwann fett- und vollgesogen auf den Fliesenboden plumpsen lassen, wo sie hilflos und bewegungsunfähig verdauen - bis wir sie finden und ihnen eine Seebestattung bei lebendigen Leibe im Klo spendieren.
  • Büro: Naja, geht so. Freue mich auf meinen Urlaub im Juli. Noch rund acht Wochen. Die bekomme ich auch noch rum.
  • Dabei fällt mir ein: Muss noch einen Mietwagen finden. Eine Woche Spanien ohne DkM. Das wird sehr ungewohnt.
  • Herr F. war am WE im Berghain. Wir haben verabredet, dass ich jetzt irgendwann mal mitgehe und mir selbst ein Bild davon mache. Ich weiss noch nicht so genau. Das mit der Musik könnte ein Problem werden.
  • Kommenden Samstag mache ich, machen wir, eine Grillparty. Grillpartys mache ich eigentlich nur deshalb, weil ich Spaß am Vorbereiten, Grillen und Essen habe und dabei immer hemmungslos Cocktails, Wein und Softalk saufen kann und alle mitmachen (müssen). Dazu irgendwelche absurden Marinaden testen, Salate zusammenhauen und Unmengen Knoblauchbrot fressen. Weil ich alles vorbereite, muss ich selten ab- oder aufräumen. Fantastisch! Ich bin halt einfach gestrickt - mich macht das sehr glücklich.
  • Schrummschrummschrumm. Berhain, ich komme. Oder auch nicht.

Mittwoch, 5. Mai 2010

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  • Am Wochenende 130KM auf dem Fahrrad gesessen und Brandenburg erkundet. Dabei ein paar sehr schöne Landstriche entdeckt. Dachte vorher immer, Brandenburg sei der Song von Rainald Grebe. Ist es aber nicht nur.
  • Schulter wird langsam besser, dafür läuft irgend so ein Lymphknoten hinter dem rechten Ohr Amok. Linkes Knie ist mal so und mal so. Und ich bin noch nicht einmal vierzig.
  • Er hat in letzter Zeit ab und an lichte Momente - Augenblicke, in denen ihn so etwas wie Klarheit durchflutet. Er liegt da in seinem Zimmer auf seinem Krankenbett und schaut den ganzen Tag auf die Glotze. Dabei schmücken ihn ein paar gewaltige Kopfhörer, die bis zum Anschlag aufgedreht sind - buschigen blond-graues Haar ragt verwirrt unter ihnen hervor, kindlich unschuldiger Ausdruck in seinen Augen. Er hat etwas von einem bekifften und in die Jahre gekommenden Rastafari.
  • Ich habe viel über Krankenkassen, Zuzahlungen für chronisch Kranke, Heilmittel und Pflegestufen gelernt. Unser Gesundheitssystem ist eine zynische, mitunter den Menschen auf eine Sache reduzierende perverse Sau, in der das Individuum durch Schablonen gepresst beurteilt wird. So habe ich gelernt, dass ein Pflegebedürftiger, der sich theoreitsch oben rum alleine waschen kann, nur Pflegestufe I erhält. Dabei spielt es aber keinerlei Rolle, dass dieser Pflegebedürftige aber so verwirrt ist, dass er sich beim Waschen die Trachialkanüle rausreissen würde, oder den Scheissebeutel vom künstlichen Darmausgang. Tja, und wenn man will, dass so jemand vom Pflegepersonal gewaschen wird, dann muss man das selber bezahlen.
  • Die kleine Madame und ich - eine seltsame Geschichte. Sie spielt bei mir ganz gut mit. Schularbeiten, lernen, Hausarbeiten - klappt alles ganz gut, wenn ich dabei bin. Aber eben auch nur bei mir. Keine Ahnung, woran das jetzt schon wieder liegt, dass sie bei allen anderen am Zeiger dreht. Wir vermuten: Die Pubertät. Aber wenn das erst der Beginn der Pubertät ist, wie soll das noch werden?
  • Musste heute früh Scheiben kratzen. Am 05. Mai. Irgendetwas stimmt doch hier nicht.

Montag, 3. Mai 2010

Herr M. - Teil I.

Irgendwann im Februar hatte ich plötzlich eine Mail von Herrn M. im Postfach. Herr M. und ich waren beste Freunde - und zwar so ungefähr von der 6. bis zur 10. Klasse. Aber dann entwickelten wir uns sehr unterschiedlich. Während ich der ruhige, stille Langeweiler blieb, wurde er Punkrocker, fing an zu saufen wie ein Loch, kiffte wie eine ganze Hippiekomune um dann am ersten Mai Schaufensterscheiben von Sexshops einzuwerfen (um dabei beinahe einen seiner Zehen durch Spontanamputation zu verlieren). Wir lebten uns also ein wenig auseinander und nach ein paar exzessiven Saufgelagen bei ihm zu Hause, bei denen die Luft THC-geschwängert und die Badewanne vollgekotzt war, entschied ich mich, auf Abstand zu gehen. Das war einfach nicht mehr meine Welt und ich für so etwas damals nicht gemacht. Denn ich hatte den Hang, mich mitreissen zu lassen, zu saufen und zu kiffen und abzustürzen, verzweifelt und orientierungslos draussen herumzuirren und von Brücken zu reiern - alles nur, weil ich mir nicht die Blöße geben wollte, die Spaßbremse zu geben und nicht mitzumachen. Also stieg ich aus dieser Freundschaft aus, weil ich seinen Weg nicht mitgehen konnte oder wollte.
Herr M. war einer der intelligentesten Menschen, die ich bis dahin kannte. Ich bewunderte ihn für viele Dinge, die ihm leicht fielen und mir schwer. Er war schon mit 14 ziemlich belesen und er zeigte mir mit 12 den "Herrn der Ringe" und "Die Grüne Wolke". Er brachte mir bei, sauber zwischen wie und als zu unterscheiden und auf Genitiv und Dativ zu achten - das war irgendwie auch sein Verdienst.
Als er 12 Jahre alt war, beeindruckte er meine Mutter zutiefst mit seinen Kochkünsten. Männer, geschweige denn Zwölfjährige, kochten in der Welt meiner Mutter nicht, sie ließen sich bekochen. Der kleine Herr M. aber rückte eines Tages mit einer Tüte voller Zutaten an und kochte ganz unverblümt in Mutters Küche Spaghetti mit Tomatensoße. Und die Spaghetti waren wirklich gut, besser vielleicht sogar als das, was meine Mutter hätte machen können.
Als ich 14 war und das Rauchen anfing, da zog mich der Herr M. noch gerne damit auf. "Willst du auf Erwachsener machen, oder was soll das? Das sieht voll affig aus, wie du da mit deiner Zigarette rumstehst", verhöhnte er mich, und ich war sauer auf ihn - weil er recht und einen wunden Punkt getroffen hatte.
Mit 16 dann, wir waren auf einer Klassenfahrt, fing auch er schliesslich an zu rauchen und kurz darauf kamen noch Unmengen Sprit und Kannabis dazu. Er rasierte sich einen Iro, organisierte mit anderen einen Schulstreik und schrieb an einer Art revolutionären Schülerzeitung mit, kaufte sich Dog Martens und zerschnitt sich seine Jeans. Danach habe ich ihn nie wieder kochen sehen. Und zu uns nach Hause kam er auch nicht mehr.

Nach kurzer Zeit hatten wir keinen wirklichen Draht mehr zueinander, ausser eben jene exzessiven Gelage bei ihm Zuhause, zu denen er mich aus Höflichkeit einlud und zu denen ich aus Neugier auch ging - nur um dort ständig über meine eigenen physischen Grenzen zu stolpern. Aber diese Gelage waren eben echte Institutionen und es gehörte zum guten Ton, dort hinzugehen.
Zu dieser Zeit hörte ich aus erster Hand eine Geschichte, die später in die Analen einging: Herr M. war zusammen mit anderen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis in Neukölln unterwegs. Mit dabei waren noch Herr H. und auch Herr L. - und wie sie so durch den Neuköllner Kiez spazierten, drehte Herr M. unvermittelt ab und hielt zielstrebig auf einen Mercedes zu, der da am Strassenrand parkte. Damals war es sehr en vogue, bestimmte Symbole der kapitalistischen Spiessergesellschaft zu schänden und die randalierten Überreste zur Schau zu stellen - als eine Art Protest, wenn man so will - und eines dieser Symbole war der Mercedesstern. Herr M. hatte bereits eine ganze Reihe Sterne gesammelt und an diesem Abend sollte ein weiterer dazu kommen. Also lief er geradewegs auf genannten Mercedes zu und die anderen, mit denen er unterwegs war, verstanden nicht so richtig, was das jetzt werden sollte. Herr M. stellte sich vor die Kühlerhaube und umfasste den Stern, während die anderen erschrocken den Atem anhielten. Natürlich wussten sie, was er wollte, aber sie verstanden nicht, warum es ausgerechnet dieser Mercedes sein musste - wo doch in dem Mercedes Licht brannte und vier breitschultrige Türken samt Goldkettchenlametter saßen und fassungslos Herrn M. anstarrten, als dieser damit begann, an dem Mercedesstern zu rütteln. Das Auto fing an zu schaukeln, wie er da so rüttelte. Und drinnen schaukelten die vier Türken mit. Es muss ein kroteskes Bild gewesen sein: der mit dem Mercedesstern kämpfende Herr M. und die entgeisterten Schränke in Lederjacke samt Gel-Haaren im Innenraum - bis schliesslich einer der Türken die Fassung wiedergewann und die Tür öffnete. In diesem Moment erwachten auch die anderen aus ihrer Trance. Binnen kurzem wurden alle vierTüren aufgerissen und die Türken mühten sich, ihre massigen Körper aus dem Auto zu wuchten. Die anderen aus meiner Klasse, Zeugen dieses absurden Vorfalls und nicht weniger paralysiert, erwachten nun ebenfalls und riefen Herrn M. an, er solle gefälligst abhauen. Aber dieser rüttelte wie besessen. Er wollte diesen verdammten Stern haben, komme was wolle. Aber der STern gab nicht nach - er wollte einfach nicht geerntet werden.

tbc...